Veröffentlicht am April 17, 2024

Entgegen dem Gefühl der Ohnmacht liegt der Schlüssel zur Veränderung in der Schweiz nicht in lautem Protest, sondern im Aufbau einer strategischen politischen Wertschöpfungskette.

  • Isolierter Aktionismus führt meist zum Scheitern; strategische Allianzen hingegen können den Einfluss verzehnfachen.
  • Die Werkzeuge der direkten Demokratie sind nur bei juristisch präziser und strategisch geplanter Anwendung wirklich mächtig.

Empfehlung: Fokussieren Sie sich auf einen konkreten, lokalen Missstand und bauen Sie schrittweise Ihre Wirksamkeit auf, anstatt sich an grossen, abstrakten Problemen zu erschöpfen.

Klimawandel, soziale Ungerechtigkeit, politische Polarisierung – angesichts der grossen Herausforderungen unserer Zeit fühlen sich viele Schweizer Bürgerinnen und Bürger ohnmächtig. Trotz der weltweit einzigartigen Instrumente der direkten Demokratie herrscht oft der Eindruck, die eigene Stimme würde im grossen Ganzen untergehen. Dieses Gefühl, das sogenannte Partizipations-Paradox, ist weit verbreitet und nagt am Fundament unserer Zivilgesellschaft.

Die gängigen Ratschläge sind bekannt: Gehen Sie abstimmen, unterschreiben Sie eine Petition, engagieren Sie sich in einer Partei. Diese Handlungen sind zweifellos wichtige Pfeiler der Demokratie. Doch für sich allein genommen wirken sie oft wie ein Tropfen auf den heissen Stein und verstärken die Frustration, wenn sich der erhoffte Wandel nicht einstellt. Die Energie verpufft in Einzelaktionen, ohne eine nachhaltige Wirkung zu entfalten.

Doch was, wenn die wahre Ursache für die gefühlte Ohnmacht nicht in den Werkzeugen selbst, sondern in der Art ihrer Anwendung liegt? Was, wenn der Schlüssel zu echtem Einfluss nicht in isoliertem Aktionismus, sondern im strategischen Aufbau einer politischen Wertschöpfungskette liegt? Dieser Artikel durchbricht den Kreislauf der Frustration. Er zeigt Ihnen einen praxiserprobten Weg, wie Sie von einem Gefühl der Machtlosigkeit zu einem konkreten, messbaren Einfluss in Ihrer Gemeinde und darüber hinaus gelangen. Wir werden gemeinsam die häufigsten Fehler analysieren, die Kraft strategischer Allianzen entdecken und lernen, die demokratischen Instrumente so zu nutzen, dass sie ihre volle Wirkung entfalten.

Dieser Leitfaden ist Ihre Roadmap vom passiven Zuschauer zum aktiven Gestalter. Entdecken Sie, wie Sie Ihre Anliegen Schritt für Schritt von einer ersten Idee zu einer verbindlichen Veränderung entwickeln können. Der folgende Sommaire gibt Ihnen einen Überblick über die Etappen dieser Reise.

Warum 80% der Schweizer glauben, sie hätten keinen Einfluss auf Politik und Gesellschaft?

Das Gefühl der Machtlosigkeit in der Schweizer Bevölkerung ist ein tief verwurzeltes Paradox. Einerseits wird das System der direkten Demokratie international gelobt, wie Kampaweb betont: „Die Schweiz wird überall auf der Welt als Vorbild für Bürgerbeteiligung zitiert. Das Initiativ- und Referendumsrecht gibt den StimmbürgerInnen in der Tat weitreichende Möglichkeiten auf Verfassung und Gesetze Einfluss zu nehmen.“ Andererseits steht diese theoretische Macht im krassen Gegensatz zur gefühlten Realität vieler Bürger.

Ein Hauptgrund für diese Diskrepanz liegt in den harten Fakten der politischen Realität. Eine historische Analyse zeigt, dass von den über 200 eingereichten eidgenössischen Volksinitiativen nur 10,2 % der seit 1891 eingereichten Initiativen tatsächlich angenommen wurden. Diese geringe Erfolgsquote des mächtigsten Instruments der Bürgerbeteiligung nährt die öffentliche Wahrnehmung, dass Veränderungen „von unten“ kaum eine Chance haben. Wenn selbst aufwendig organisierte und breit unterstützte Initiativen scheitern, wie soll dann der Einzelne etwas bewirken?

Diese Frustration wird durch die Struktur vieler Partizipationsangebote noch verstärkt. Eine Analyse von sieben Schweizer Partizipationsprojekten durch das staatslabor zeigt ein klares Muster: Während digitale Plattformen wie WeCollect und engage.ch die Hürden für die Teilnahme senken, bieten sie oft nur eine begrenzte Entscheidungsmacht. Bürger können Ideen einbringen und Feedback geben, doch die finale Entscheidungsgewalt verbleibt bei den etablierten politischen Akteuren. Diese Form der „eingeladenen Partizipation“ kann schnell den Eindruck erwecken, nur zum Schein beteiligt zu werden, was das Gefühl der Ohnmacht weiter zementiert, anstatt es abzubauen. Die Bürger haben zwar eine Stimme, aber keinen garantierten Einfluss auf das Ergebnis.

Wie Sie mit Bürgerinitiativen in 8 Monaten konkrete Veränderungen in Ihrer Gemeinde erreichen?

Der effektivste Weg, den Kreislauf der Ohnmacht zu durchbrechen, beginnt nicht auf der grossen nationalen Bühne, sondern direkt vor Ihrer Haustür. Lokale Bürgerinitiativen bieten den entscheidenden Vorteil, dass die Probleme greifbar, die Ansprechpartner bekannt und die Ergebnisse sichtbar sind. Hier legen Sie den Grundstein für Ihre politische Wertschöpfungskette, indem Sie ein konkretes Problem in eine lösbare Aufgabe verwandeln.

Der erste Schritt ist die präzise Definition des Anliegens. Anstatt gegen „zu viel Verkehr“ zu kämpfen, konzentrieren Sie sich auf ein messbares Ziel: „Wir fordern eine Tempo-30-Zone in der Schulstrasse, um die Sicherheit der Kinder zu erhöhen.“ Eine solche Konkretisierung macht Ihr Ziel verständlich und mobilisierungsfähig. Nutzen Sie für eine faktenbasierte Argumentation die frei zugänglichen Daten von opendata.swiss, um beispielsweise Unfallstatistiken oder Verkehrsaufkommen in Ihrer Strasse zu belegen. Dies verleiht Ihrem Anliegen von Anfang an Seriosität.

Der Erfolg einer lokalen Initiative hängt von der Gemeinschaft ab. Suchen Sie von Beginn an das Gespräch mit Gleichgesinnten, Nachbarn und lokalen Vereinen. Es geht darum, eine engagierte Kerngruppe zu bilden, die die Arbeit auf mehrere Schultern verteilt und gemeinsam die nächsten Schritte plant.

Nahaufnahme von Händen verschiedener Menschen, die gemeinsam an einem runden Tisch Dokumente bearbeiten

Wie das Bild symbolisiert, entsteht die wahre Kraft im gemeinsamen Handeln. Jede Hand bringt eine andere Fähigkeit ein, sei es Organisationstalent, Fachwissen oder einfach nur die Zeit, um Unterschriften zu sammeln. In dieser Phase geht es weniger um Masse als um das Engagement einer soliden Basis, die das Projekt durch die kommenden Monate trägt. Diese kollaborative Basis ist der Motor für jede erfolgreiche Veränderung auf kommunaler Ebene.

Volksinitiative oder Protestbewegung: Was verändert in der Schweiz effektiv mehr?

Wenn der Unmut wächst, stellt sich oft die Frage nach der richtigen Strategie: Sollen wir eine laute Protestbewegung organisieren oder den langen, formellen Weg einer Volksinitiative einschlagen? Beide Ansätze haben ihre Berechtigung, doch sie unterscheiden sich fundamental in ihrer Funktionsweise, ihren Kosten und vor allem in ihrer strukturellen Wirksamkeit. Die Wahl des richtigen Instruments hängt entscheidend vom angestrebten Ziel ab.

Eine Protestbewegung kann schnell eine enorme mediale Aufmerksamkeit erzeugen und ein Thema auf die politische Agenda setzen. Sie ist ein wichtiges Ventil für gesellschaftlichen Frust und kann Druck auf die Politik ausüben. Jedoch ist ihre Wirkung oft kurzlebig und rechtlich nicht bindend. Eine Volksinitiative hingegen ist ein langsamer, aber weitaus mächtigerer Prozess. Sie zielt darauf ab, die Verfassung direkt zu ändern und schafft bei einer Annahme durch Volk und Stände unumstössliche, rechtlich verbindliche Fakten.

Die folgende Tabelle, basierend auf Analysen zur Schweizer Demokratie, stellt die zentralen Unterschiede gegenüber, wie eine vergleichende Analyse der Abstimmungstypen zeigt.

Vergleich: Volksinitiative vs. Protestbewegung in der Schweiz
Kriterium Volksinitiative Protestbewegung
Zeitdauer Mindestens 18 Monate (Sammelfrist) + Jahre bis zur Abstimmung Sofortige Mobilisierung möglich
Erfolgsquote 10,2% (22 von 216 seit 1891) Schwer messbar, aber hohe Medienwirksamkeit
Rechtliche Verbindlichkeit Bei Annahme verfassungsrechtlich bindend Keine direkte rechtliche Wirkung
Kosten 100’000-500’000 CHF für professionelle Kampagne Variable Kosten, oft niedriger
Benötigte Unterschriften 100’000 gültige Unterschriften in 18 Monaten Keine formalen Anforderungen

Die Daten machen deutlich: Während Proteste kurzfristig für Sichtbarkeit sorgen, ist die Volksinitiative das Instrument für nachhaltige, strukturelle Veränderungen. Die Entscheidung ist also keine des „Entweder-oder“, sondern eine strategische. Oft beginnt der Wandel mit einer Protestbewegung, die das Bewusstsein schafft, und mündet dann in einer gut vorbereiteten Initiative, die das Anliegen gesetzlich verankert. Für Bürger, die echten, dauerhaften Wandel anstreben, ist der Weg über die Initiative trotz aller Hürden unausweichlich.

Die Aktionismus-Falle, die 90% der Bürgerinitiativen nach 6 Monaten scheitern lässt

Der grösste Feind einer guten Idee ist oft der unkoordinierte Tatendrang. Viele vielversprechende Bürgerinitiativen scheitern nicht am fehlenden Engagement, sondern weil sie kopflos in die Aktionismus-Falle tappen. Sie starten mit grosser Energie, investieren Zeit und Geld in unstrukturierte Aktionen und brennen aus, bevor sie eine kritische Masse erreichen. Dieses Phänomen ist der Hauptgrund, warum die meisten Initiativen die entscheidende 6-Monats-Marke nicht überwinden.

Die Aktionismus-Falle hat viele Gesichter: Man druckt Flyer, bevor die Kernbotschaft klar ist, startet eine Online-Petition ohne eine Strategie zur Mobilisierung, oder beginnt mit dem Sammeln von Unterschriften, ohne die rechtlichen Hürden zu kennen. Das Resultat ist oft ein chaotischer Schreibtisch, der Frustration und Resignation symbolisiert, anstatt eines organisierten Plans, der zum Erfolg führt.

Überfüllter Schreibtisch mit zerknitterten Papieren und leeren Kaffeetassen aus der Vogelperspektive

Ein besonders drastisches Beispiel für die Folgen mangelnder Planung ist der kommerzielle Markt für Unterschriften. Wenn Initiativen unter Zeitdruck geraten, greifen sie manchmal auf Dienste zurück, bei denen laut Berichten bis zu 7 CHF pro gefälschte Unterschrift verlangt werden, was nicht nur illegal ist, sondern auch die gesamte Initiative delegitimiert. Um diesem Scheitern vorzubeugen, ist eine strategische Herangehensweise von Anfang an unerlässlich.

Ihr Aktionsplan: Die Aktionismus-Falle vermeiden

  1. Formale Gründung: Gründen Sie einen Verein. Ohne eine offizielle Rechtsform erhalten Sie kein Bankkonto, können keine Spendenquittungen ausstellen und sind nicht handlungsfähig.
  2. Sammelaufwand realistisch einschätzen: Planen Sie für 100’000 gültige Unterschriften das Sammeln von mindestens 130’000. Ungültige oder doppelte Unterschriften sind die Regel, nicht die Ausnahme.
  3. Allianzen frühzeitig bilden: Suchen Sie erfahrene Partner (NGOs, Verbände) zu Beginn des Prozesses, nicht erst, wenn Ihre eigenen Ressourcen erschöpft sind.
  4. Juristische Präzision sicherstellen: Lassen Sie den Initiativtext von Juristen prüfen, bevor Sie mit dem Sammeln beginnen. Eine unpräzise Formulierung kann zur Ungültigkeitserklärung durch die Bundeskanzlei führen.
  5. Digitale Strategie entwickeln: Unterschätzen Sie nicht die Kraft der Online-Mobilisierung. Eine klare Social-Media-Strategie und eine einfache Möglichkeit zur Online-Unterstützung sind heute unerlässlich.

Wie Sie durch 3 strategische Allianzen Ihren politischen Einfluss in 12 Monaten verzehnfachen?

Allein ist man stark, gemeinsam ist man unschlagbar. Diese Weisheit ist in der politischen Arena der Schweiz von entscheidender Bedeutung. Der grösste Hebel zur Steigerung Ihres Einflusses liegt nicht darin, Tausende Einzelkämpfer zu mobilisieren, sondern darin, einige wenige, aber strategisch klug gewählte Allianzen zu schmieden. Dieser Allianz-Hebel kann die Reichweite und Glaubwürdigkeit Ihres Anliegens exponentiell erhöhen.

Die erfolgreichsten politischen Bewegungen der jüngeren Schweizer Geschichte basierten auf überparteilichen und oft unerwarteten Koalitionen. Sie zeigen, dass die Bündelung unterschiedlicher Interessen eine enorme Kraft entfalten kann.

Fallbeispiel: Die Macht ungewöhnlicher Koalitionen

In der Schweiz müssen sich alle politischen Kräfte permanent um die Zustimmung der Bürger bemühen, was zu flexiblen Bündnissen führt. Ein Paradebeispiel ist die Konzernverantwortungsinitiative: Hier arbeiteten kirchliche Organisationen, die traditionell als eher konservativ gelten, Hand in Hand mit linken Umweltverbänden und Menschenrechtsorganisationen. Diese breite Abstützung verlieh der Initiative eine enorme moralische Autorität. Ein anderes Beispiel ist die erfolgreiche Koalition gegen die AHV-Reform 2024, bei der Gewerkschaften und Seniorenverbände ihre Kräfte bündelten und ihre jeweiligen Mitgliederbasen gemeinsam mobilisierten.

Neben zivilgesellschaftlichen Partnern ist eine Allianz mit der Wissenschaft von unschätzbarem Wert. Sie liefert die faktenbasierte Grundlage für Ihre Argumentation und verschafft Ihnen mediale Aufmerksamkeit und Seriosität. Wie Marc Bühlmann von der Universität Bern treffend bemerkt:

Die Zusammenarbeit mit einer Fachhochschule oder Universität verleiht einem Anliegen die entscheidende Glaubwürdigkeit und mediale Aufmerksamkeit.

– Marc Bühlmann, Année Politique Suisse, Universität Bern

Die drei strategischen Allianzen, die Ihren Einfluss maximieren, sind also: 1. Eine thematische Allianz mit Organisationen, die ähnliche Ziele verfolgen. 2. Eine überparteiliche Allianz mit Akteuren aus anderen politischen Lagern, um die Basis zu verbreitern. 3. Eine wissenschaftliche Allianz mit einer Hochschule, um die Glaubwürdigkeit zu untermauern.

Wie Sie mit Bürgerinitiativen in 8 Monaten konkrete Veränderungen in Ihrer Gemeinde erreichen?

Sobald die grundlegende Strategie Ihrer lokalen Initiative steht und erste Mitstreiter gefunden sind, geht es darum, den Prozess zu professionalisieren und die Mobilisierung zu skalieren. Moderne digitale Werkzeuge sind hierbei unverzichtbar, um effizient zu arbeiten und eine breitere Öffentlichkeit zu erreichen. Sie ermöglichen es, den gesamten Partizipationsprozess transparent und nachvollziehbar zu gestalten.

Spezialisierte E-Partizipationsplattformen, wie sie beispielsweise von E-Mitwirkung angeboten werden, sind ein zentrales Instrument. Sie erlauben eine systematische Einbindung verschiedener Anspruchsgruppen. Anstatt Ideen unstrukturiert per E-Mail zu sammeln, können Sie auf einer solchen Plattform Lösungsvorschläge digital erfassen, zur Diskussion stellen und von der Community bewerten lassen. Dies schafft nicht nur einen besseren Überblick, sondern fördert auch eine konstruktive Debattenkultur.

Um die Akzeptanz für Ihr Vorhaben zu messen und Ihre Argumentation zu schärfen, sind Online-Befragungen ein mächtiges Werkzeug. Sie können sowohl quantitative Daten (z.B. „Wie viele Anwohner sind für die Massnahme?“) als auch qualitative Einblicke (z.B. „Welche Bedenken haben die Gewerbetreibenden?“) sammeln. Diese datengestützte Vorgehensweise ist weitaus überzeugender als reine Behauptungen.

Die folgenden Schritte helfen Ihnen, Ihre Initiative digital zu professionalisieren:

  1. Systematische Einbindung: Nutzen Sie eine E-Partizipationsplattform, um alle Anspruchsgruppen (Anwohner, Vereine, Gewerbe) strukturiert in den Prozess einzubeziehen.
  2. Ideenmanagement: Sammeln Sie Vorschläge digital und lassen Sie diese von der Gemeinschaft kommentieren und bewerten, um die besten Ideen herauszufiltern.
  3. Akzeptanzmessung: Führen Sie gezielte Online-Befragungen durch, um die Stimmung in der Bevölkerung zu erfassen und potenzielle Widerstände frühzeitig zu erkennen.
  4. Transparente Dokumentation: Dokumentieren Sie den gesamten Prozess – von der ersten Idee über die Umfrageergebnisse bis zur finalen Eingabe bei der Gemeinde – öffentlich zugänglich. Dies schafft Vertrauen und Legitimität.

Wie Sie als Zugezogener in 3 Monaten Zugang zu lokalen Traditionen finden?

Sich in einer neuen Gemeinde in der Schweiz niederzulassen, bedeutet mehr als nur eine neue Adresse zu haben. Es bedeutet, Teil einer Gemeinschaft mit eigenen Traditionen, ungeschriebenen Regeln und einem einzigartigen politischen Leben zu werden. Gerade für Zugezogene, ob aus einem anderen Kanton oder einem anderen Land, kann der Zugang zu diesem sozialen Gefüge eine Herausforderung sein. Doch gerade hier liegt eine grosse Chance: Aktive Partizipation ist der schnellste und authentischste Weg zur Integration.

Auch ohne Stimmrecht gibt es zahlreiche Möglichkeiten, sich einzubringen und eine Stimme zu haben. Die Teilnahme am lokalen Leben geht weit über den Gang zur Urne hinaus. Es ist die Bereitschaft, zuzuhören, mitzuwirken und Verantwortung für das unmittelbare Lebensumfeld zu übernehmen. Ein eindrückliches Beispiel zeigt, wie tiefgreifend diese Erfahrung sein kann:

Eine Deutsche, die seit 20 Jahren in der Schweiz lebt, wurde zufällig Teil des Constitutio-Projekts und las einen Artikel aus der Bundesverfassung vor. Ihre Reaktion: ‚Das berührt mich – ich möchte Teil davon sein und politisch eine Stimme haben.‘ Das Projekt zeigt, wie das Vorlesen der Verfassung Menschen verschiedener Herkunft verbindet.

– Bericht in der Berner Zeitung

Dieser Moment der Verbundenheit kann auf viele Arten entstehen. Der Schlüssel liegt darin, aktiv auf die Gemeinschaft zuzugehen. Der folgende 3-Monats-Plan bietet eine konkrete Anleitung, um schnell Fuss zu fassen:

  • Monat 1: Beobachten und Teilnehmen. Besuchen Sie die nächste Gemeindeversammlung. Auch wenn Sie nicht stimmberechtigt sind, sind Sie als Zuhörer willkommen und lernen die wichtigen Themen und Akteure kennen. Treten Sie gleichzeitig einem lokalen Verein bei, der Ihren Interessen entspricht (z.B. Turnverein, Musikgesellschaft).
  • Monat 2: Kontakte knüpfen. Nehmen Sie regelmässig am Stammtisch oder an den Treffen Ihres Vereins teil. Hier entstehen in ungezwungener Atmosphäre die wichtigsten sozialen Kontakte. Bieten Sie Ihre Hilfe bei der Organisation eines kleinen Anlasses an.
  • Monat 3: Aktiv mitwirken. Bringen Sie sich aktiv in Vernehmlassungsverfahren ein. Auch Nicht-Stimmberechtigte können ihre Meinung zu Bauvorhaben oder neuen Reglementen schriftlich bei der Gemeinde einreichen. Ihre Perspektive als Zugezogener ist oft wertvoll.

Das Wichtigste in Kürze

  • Erfolgreiches Engagement ist keine Frage einzelner Aktionen, sondern des Aufbaus einer strategischen „politischen Wertschöpfungskette“.
  • Beginnen Sie lokal: Konkrete, überschaubare Projekte in Ihrer Gemeinde sind der beste Weg, um Frustration zu vermeiden und erste Erfolge zu erzielen.
  • Strategische Allianzen mit zivilgesellschaftlichen, überparteilichen und wissenschaftlichen Partnern sind der grösste Hebel, um Ihren Einfluss zu maximieren.

Wie Sie kritisches Denken entwickeln und sich gegen Manipulation immunisieren?

Die Fähigkeit, gesellschaftliche Transformation mitzugestalten, hängt untrennbar mit einer weiteren Kernkompetenz zusammen: kritischem Denken. In einer Zeit emotionalisierter Debatten und gezielter Desinformation in Abstimmungskämpfen ist die Immunisierung gegen Manipulation die Grundlage für eine souveräne politische Entscheidungsfindung. Nur wer Fakten von Meinungen und seriöse Informationen von Propaganda unterscheiden kann, kann wirklich frei entscheiden.

Studien der Universität Zürich haben einen besorgniserregenden Mechanismus aufgedeckt: Die zunehmende Kommerzialisierung der Medienlandschaft führt zu einer verkürzten, personalisierten und stark emotionalisierten Berichterstattung. Dieser Wandel im Mediensystem schafft einen idealen Nährboden für populistische Kommunikation. Komplexe Sachverhalte werden auf einfache Feindbilder reduziert, Ängste geschürt und Sündenböcke benannt. Die Erfolge bei Abstimmungen wie der Minarett-Initiative (2009) oder der Masseneinwanderungsinitiative (2014) sind auch auf diese Mechanismen zurückzuführen.

Die Folge ist eine wachsende Politikverdrossenheit, die sich in einer sinkenden Beteiligung äussert. Wenn Bürger das Gefühl haben, ohnehin nur manipuliert zu werden, ziehen sie sich zurück. So zeigen Projektionen für kommende Abstimmungen, dass bei gewissen Vorlagen mit einer Stimmbeteiligung von nur 38 % gerechnet wird, was die Legitimität von Entscheiden untergräbt.

Wie können Sie sich also wappnen? Die Entwicklung eines „mentalen Immunsystems“ basiert auf drei Säulen:

  1. Quellenvielfalt: Konsumieren Sie bewusst Nachrichten aus unterschiedlichen politischen Lagern und von verschiedenen Medientypen (z.B. Abonnementszeitungen, Online-Portale, Service-Public-Medien).
  2. „Follow the Money“: Informieren Sie sich, welche Interessengruppen und Verbände hinter einer Kampagne stehen. Die Offenlegung der Finanzierung von Abstimmungskämpfen ist ein wichtiges Werkzeug für mehr Transparenz.
  3. Fakten-Check: Misstrauen Sie emotionalen Schlagzeilen und überprüfen Sie die darin enthaltenen Behauptungen bei unabhängigen Fakten-Check-Organisationen oder durch Recherche in Primärquellen (z.B. offizielle Studien, Bundesamtsstatistiken).

Kritisches Denken ist der letzte, entscheidende Baustein Ihrer politischen Wertschöpfungskette. Es macht Sie vom passiven Informationsempfänger zu einem aktiven, aufgeklärten Bürger, der sich seine eigene Meinung bildet und nicht zum Spielball fremder Interessen wird.

Ihre Reise vom Gefühl der Ohnmacht zum aktiven Gestalter beginnt jetzt. Warten Sie nicht auf die perfekte Gelegenheit. Identifizieren Sie ein Anliegen in Ihrem direkten Umfeld, das Ihnen am Herzen liegt, und wenden Sie den ersten Grundsatz an: Beginnen Sie klein, aber strategisch. Setzen Sie noch heute den Grundstein Ihrer eigenen politischen Wertschöpfungskette.

Geschrieben von Stefan Müller, Stefan Müller ist Organisationspsychologe mit Spezialisierung auf Change Management und arbeitet seit über 12 Jahren mit Schweizer KMU und Grossunternehmen zusammen. Er besitzt einen Master in Psychologie der Universität Zürich sowie ein CAS in Organisationsentwicklung der ZHAW. In seiner Laufbahn hat er über 80 Transformationsprojekte in Bereichen wie Digitalisierung, Kulturwandel und Strategieumsetzung begleitet.