
Zusammenfassend:
- Konflikte entstehen selten aus Bosheit, sondern meist aus missverstandenen Bedürfnissen, was in der indirekten Schweizer Kommunikation besonders häufig vorkommt.
- Die 4-Schritte-Methode der GFK (Beobachtung, Gefühl, Bedürfnis, Bitte) ist keine blosse Technik, sondern ein mentaler Haltungswechsel weg vom Recht-haben-Wollen hin zum Verbindung-schaffen-Wollen.
- Aktives Zuhören mit der GFK-Haltung, um die unausgesprochenen Bedürfnisse des Gegenübers zu „hören“, ist der eigentliche Schlüssel zur Deeskalation.
- In der Schweizer Kultur sind Zuverlässigkeit und dezente nonverbale Signale oft wichtiger für den Beziehungsaufbau als grosse emotionale Gesten.
Kennen Sie das Gefühl, in einer Endlosschleife von Missverständnissen gefangen zu sein? Ob mit dem Partner, den Kindern oder im Team bei der Arbeit – dieselben Diskussionen flammen immer wieder auf und hinterlassen Frustration und Distanz. Man hat das Gefühl, alles versucht zu haben: „mehr reden“, sachlich bleiben, „Ich-Botschaften“ senden. Doch der Kern des Problems bleibt unberührt. Die Fronten verhärten sich, obwohl sich im Grunde alle nach Harmonie und Verständnis sehnen.
Die gängigen Ratschläge kratzen oft nur an der Oberfläche. Sie geben uns Skripte, ändern aber nichts an unserer inneren Haltung. Was aber, wenn der wahre Schlüssel nicht darin liegt, *was* wir sagen, sondern *warum* wir es sagen? Was, wenn Konfliktlösung weniger eine Technik und vielmehr ein mentales Betriebssystem-Update ist? Genau hier setzt die Gewaltfreie Kommunikation (GFK) nach Marshall Rosenberg an. Es geht um einen fundamentalen Absichtswechsel: weg vom Ziel, Recht zu behalten und den anderen zu ändern, hin zum Wunsch, eine Verbindung herzustellen und eine Lösung zu finden, die die Bedürfnisse aller berücksichtigt.
Dieser Artikel ist kein weiteres Formelbuch. Er ist eine Einladung, die tiefere Logik der Empathie zu verstehen und anzuwenden – speziell angepasst an die Nuancen der Schweizer Kommunikationskultur. Wir werden gemeinsam entdecken, warum so viele Konflikte entstehen, wie die 4-Schritte-Methode als Verbindungsbrücke dient und wie Sie lernen, nicht nur zu sprechen, sondern vor allem zuzuhören, was wirklich zählt. Sie werden sehen, dass es nicht um Magie geht, sondern um eine erlernbare Fähigkeit, die Ihre Beziehungen nachhaltig verändern kann.
Dieser Leitfaden führt Sie schrittweise durch die Prinzipien und praktischen Anwendungen der Gewaltfreien Kommunikation, damit Sie zukünftig souverän und empathisch durch schwierige Gespräche navigieren können.
Inhalt: Der Weg zu einer konstruktiven Konfliktlösung in der Schweiz
- Warum 90% der Schweizer Arbeitskonflikte auf vermeidbare Missverständnisse zurückgehen?
- Wie Sie mit der 4-Schritte-GFK-Methode jede schwierige Botschaft übermitteln?
- Direkte oder indirekte Kommunikation: Was wirkt in der Schweizer Kultur effektiver?
- Der Zuhör-Fehler, der 80% Ihrer Gespräche ineffektiv und frustrierend macht
- Wie Sie mit 5 nonverbalen Signalen Ihre Überzeugungskraft verdreifachen?
- Wie Sie mit der 4-Schritte-GFK-Methode jede schwierige Botschaft übermitteln?
- Wie Sie Wertekonflikte im Team in 3 Schritten konstruktiv klären?
- Wie Sie tiefe soziale Beziehungen aufbauen, die in Krisen wirklich tragen?
Warum 90% der Schweizer Arbeitskonflikte auf vermeidbare Missverständnisse zurückgehen?
Konflikte am Arbeitsplatz fühlen sich oft persönlich an, doch ihre Wurzeln sind meist systemischer Natur. Sie sind weniger das Ergebnis von Bosheit als vielmehr von fehlerhafter Kommunikation. Dies zeigt sich in der Schweiz besonders deutlich. Eine Studie zum Job-Stress-Index belegt, dass sich über 28% der Schweizer Erwerbstätigen im kritischen Stressbereich befinden, wobei soziale Stressoren wie Konflikte eine wesentliche Rolle spielen. Der hohe Arbeitstempo und Termindruck, unter dem laut SGB über die Hälfte der Arbeitnehmenden leidet, verschärft die Situation und lässt kaum Raum für klärende Gespräche.
Ein grosser Teil dieser Konflikte ist auf simple, aber folgenschwere Missverständnisse zurückzuführen. Eine besondere Herausforderung in der Deutschschweiz ist die sprachliche Dynamik: Für viele Deutschschweizer ist Hochdeutsch gefühlt eine Fremdsprache, was im Austausch mit deutschen Kollegen zu einem Gefühl der Unterlegenheit und zu Kommunikationsbarrieren führen kann. Was als klare Anweisung gemeint war, wird als Befehlston empfunden; eine höfliche, indirekte Bitte wird überhört. Diese Dynamik existiert auch zwischen den verschiedenen Sprachregionen der Schweiz, wo unterschiedliche Erwartungen an Direktheit aufeinanderprallen.
Die Zunahme von Remote-Arbeit hat dieses Problem weiter verstärkt. Ohne die nonverbalen Signale – ein kurzes Nicken, ein Lächeln, eine offene Körperhaltung – interpretieren wir E-Mails und Chat-Nachrichten oft durch den Filter unserer eigenen, momentanen Stimmung. Eine knappe Antwort wird so schnell als Desinteresse oder Ärger gelesen, obwohl sie vielleicht nur der Konzentration geschuldet war. Die Annahme, der andere müsse unsere Intention schon verstehen, ist der grösste Brandbeschleuniger für Konflikte. Die Lösung liegt nicht darin, härter zu argumentieren, sondern darin, die Art und Weise, wie wir kommunizieren, von Grund auf zu überdenken.
Wie Sie mit der 4-Schritte-GFK-Methode jede schwierige Botschaft übermitteln?
Wenn ein Gespräch zu eskalieren droht, greifen wir oft zu Vorwürfen oder ziehen uns zurück. Die Gewaltfreie Kommunikation bietet einen dritten Weg: eine strukturierte Methode, um eine Verbindungsbrücke zum Gegenüber zu bauen, selbst wenn die Botschaft schwierig ist. Es geht nicht darum, nett zu sein, sondern darum, klar und authentisch zu sein, ohne dabei zu verletzen. Das Ziel ist es, gehört zu werden und gleichzeitig die Tür für ein konstruktives Gespräch offenzuhalten.

Die Methode basiert auf vier einfachen, aber kraftvollen Schritten, die unsere gewohnheitsmässige Sprache des Urteils und der Forderung durch eine Sprache der Bedürfnisse ersetzen. Sie dient als eine Art Geländer, das uns durch ein heikles Gespräch führt.
- Beobachtung: Beschreiben Sie die konkrete Handlung, die Sie stört, so neutral wie möglich – wie eine Kamera es aufzeichnen würde. Vermeiden Sie jede Form von Interpretation, Verallgemeinerung („immer“, „nie“) oder Urteil. Statt „Du kommst immer zu spät“ sagen Sie „Wenn ich sehe, dass du um 9:15 Uhr zur Sitzung kommst, die um 9:00 Uhr begann…“.
- Gefühl: Teilen Sie mit, welches Gefühl diese Beobachtung in Ihnen auslöst. Sprechen Sie von sich, ohne dem anderen die Verantwortung für Ihr Gefühl zu geben. Wichtig ist es, echte Gefühle (z.B. „bin ich besorgt“, „fühle ich mich frustriert“) von „Pseudo-Gefühlen“, die versteckte Vorwürfe enthalten (z.B. „fühle ich mich ignoriert“), zu unterscheiden.
- Bedürfnis: Formulieren Sie das unerfüllte Bedürfnis, das hinter Ihrem Gefühl steckt. Dies ist der Kern der GFK. Ihr Gefühl ist ein Signal, dass ein wichtiges Bedürfnis (z.B. nach Unterstützung, Respekt, Effizienz, Zugehörigkeit) gerade nicht erfüllt ist. „…weil mir Effizienz und die Wertschätzung der Zeit aller wichtig sind.“
- Bitte: Sprechen Sie eine konkrete, positive und umsetzbare Bitte aus. Eine Bitte ist keine Forderung – das Gegenüber kann „Nein“ sagen. Statt „Sei pünktlicher!“ bitten Sie: „Wärst du bereit, mir kurz Bescheid zu geben, wenn du merkst, dass es später wird?“.
Diese vier Schritte sind kein starres Skript, sondern eine innere Haltung. Sie verlagern den Fokus vom Fehler des anderen auf die eigenen Gefühle und Bedürfnisse und eröffnen so einen Raum für gemeinsame Lösungen.
Direkte oder indirekte Kommunikation: Was wirkt in der Schweizer Kultur effektiver?
Die Frage nach dem „richtigen“ Kommunikationsstil ist in der multikulturellen Schweiz eine tägliche Gratwanderung. Eine zu direkte Ansage kann in der Romandie als unhöflich empfunden werden, während eine zu blumige Umschreibung in Zürich als unklar und ineffizient gilt. Die GFK bietet hier einen Ausweg aus dem Dilemma, da sie weder direkt noch indirekt im klassischen Sinne ist. Sie ist ehrlich und gleichzeitig beziehungsschonend.
Anstatt sich für einen Stil zu entscheiden, lehrt uns die GFK, die Absicht hinter unseren Worten zu prüfen. Geht es darum, Recht zu haben und Druck auszuüben (typisch für unreflektierte direkte Kommunikation) oder darum, mein Anliegen klar zu machen und gleichzeitig die Beziehung zu wahren? Die folgende Übersicht hilft bei der situativen Entscheidung, welcher Ansatz in typischen Schweizer Kontexten zielführender ist.
| Situation | Direkter Ansatz | Indirekter Ansatz | Empfehlung |
|---|---|---|---|
| Sicherheitsfragen | Klar und unmissverständlich | Könnte übersehen werden | Direkt |
| Persönliches Feedback | Kann verletzend wirken | Beziehungsschonend | Indirekt mit GFK |
| Projekt-Deadlines | Schafft Klarheit | Führt zu Unsicherheit | Direkt |
| Teamkonflikte | Kann eskalieren | Ermöglicht Gesichtswahrung | Situativ entscheiden |
Die Tabelle zeigt, dass es keine Einheitslösung gibt. Bei Sicherheitsfragen ist Klarheit überlebenswichtig. Bei persönlichem Feedback hingegen kann eine zu direkte Konfrontation verletzen und Abwehr erzeugen. Hier ist der GFK-Ansatz ideal: Er ist klar bezüglich der Beobachtung und des Bedürfnisses, aber weich in der Formulierung, da er bei den eigenen Gefühlen bleibt und eine offene Bitte formuliert. Wie Consolata Peyron, eine CNVC-zertifizierte GFK-Trainerin in der Schweiz, es treffend formuliert:
Die Gewaltfreie Kommunikation ermöglicht eine Veränderung der eigenen Automatismen von einer reinen Re-aktion zu einer bewussten Aktion.
– Consolata Peyron, CNVC-zertifizierte GFK-Trainerin, BFH
Es geht also nicht um die Wahl zwischen „hart“ und „weich“, sondern um den bewussten Einsatz von Klarheit und Empathie, um das gewünschte Ergebnis zu erzielen: eine konstruktive Lösung und eine gestärkte Beziehung.
Der Zuhör-Fehler, der 80% Ihrer Gespräche ineffektiv und frustrierend macht
Der grösste Fehler in der Kommunikation ist, dass wir nicht zuhören, um zu verstehen – wir hören zu, um zu antworten. Unser Gehirn ist bereits damit beschäftigt, Gegenargumente zu formulieren, Lösungen zu finden oder die eigene Geschichte zu erzählen, während der andere noch spricht. Dieses „Zuhören auf Antwort“ blockiert jegliche Empathie und führt dazu, dass sich unser Gegenüber nicht wirklich gehört fühlt. In der oft indirekten Schweizer Kommunikation ist dieser Fehler fatal, da die eigentliche Botschaft „zwischen den Zeilen“ versteckt liegt.
Die GFK revolutioniert das Zuhören, indem sie die 4 Schritte quasi umkehrt. Statt die eigenen Gefühle und Bedürfnisse auszudrücken, werden Sie zum „Bedürfnis-Detektiv“. Sie hören auf das, was *hinter* den Worten des anderen steckt. Wenn ein Kollege sagt: „Ich muss schon wieder alles alleine machen“, hören Sie nicht den Vorwurf, sondern Sie fragen sich: Welches Gefühl steckt dahinter (Frustration, Erschöpfung)? Und welches Bedürfnis ist unerfüllt (Unterstützung, Anerkennung, Fairness)?
Um diese impliziten Bedürfnisse in der höflichen Schweizer Kommunikation zu erkennen, achten Sie besonders auf nonverbale Signale, Pausen und wertende Adjektive. Stellen Sie dann offene, empathische Fragen, die das Bedürfnis aufdecken, ohne inquisitorisch zu wirken. Eine Frage wie „Das klingt sehr anstrengend. Ist dir gerade wichtig, dass die Last fairer verteilt wird?“ kann ein Gespräch komplett transformieren. Sie zeigen, dass Sie nicht den Angriff, sondern den Schmerz dahinter gehört haben.
Diese Art des Zuhörens ist besonders in virtuellen Meetings entscheidend. Dort fallen viele kleine Signale wie Mimik und Gestik weg. Wir reagieren unbewusst auf diese visuellen Cues. Fehlen sie, müssen wir die Perspektiven und Gefühle der anderen viel aktiver abfragen, um Missverständnisse zu vermeiden. Eine Runde zu Beginn mit „Wie geht es euch heute wirklich?“ oder am Ende mit „Was braucht jeder von uns jetzt, um weiterzukommen?“ kann Wunder wirken.
Wie Sie mit 5 nonverbalen Signalen Ihre Überzeugungskraft verdreifachen?
In einer Kultur, die oft auf Zurückhaltung und Konsens bedacht ist, sagt Ihre Körpersprache oft mehr als tausend Worte. Besonders in virtuellen Meetings, wo der Kommunikationskanal auf einen kleinen Bildausschnitt reduziert ist, wird jedes nonverbale Signal verstärkt. Es geht nicht darum, manipulative „Power Poses“ einzunehmen, sondern darum, durch Ihre Haltung Ruhe, Offenheit und Souveränität auszustrahlen. Dies schafft eine Atmosphäre des Vertrauens, in der Ihre Worte mehr Gewicht bekommen.

Eine ruhige, aufrechte Haltung signalisiert Selbstsicherheit und Respekt. Sie zeigt, dass Sie präsent und aufmerksam sind, ohne dominant zu wirken. In der Schweiz wird diese gelassene Präsenz oft mehr geschätzt als laute, extrovertierte Gesten. Die folgenden fünf Signale sind einfach umzusetzen und haben eine enorme Wirkung, insbesondere in Online-Gesprächen:
- Signal 1: Bestätigendes Nicken als aktives Zuhörsignal zeigen. Ein langsames, bewusstes Nicken signalisiert „Ich folge dir, ich verstehe“, ohne das Gespräch zu unterbrechen. Es ist eine nonverbale Form der Empathie.
- Signal 2: Ruhige, minimale Gesten verwenden. Statt grosser, ausladender Armbewegungen unterstreichen kleine, kontrollierte Handgesten Ihre Worte auf eine unaufdringliche Weise.
- Signal 3: Strategische Pausen einsetzen. Eine kurze Stille, bevor Sie eine wichtige Aussage machen oder nachdem Ihr Gegenüber gesprochen hat, verleiht Ihren Worten Gewicht und zeigt, dass Sie nachdenken.
- Signal 4: Den neutralen Gesichtsausdruck bewusst positiv gestalten. Im Ruhezustand kann unser Gesicht angespannt oder kritisch wirken („Resting Bitch Face“). Ein leichtes Lächeln oder eine entspannte Stirn signalisieren Offenheit.
- Signal 5: Die Kamera auf Augenhöhe positionieren. Wenn die Kamera zu tief steht, schauen Sie auf Ihr Gegenüber herab; steht sie zu hoch, wirken Sie unterwürfig. Augenhöhe schafft eine gleichberechtigte, respektvolle Beziehung.
Durch die bewusste Steuerung dieser nonverbalen Kanäle nehmen Sie aktiv Einfluss auf die Dynamik des Gesprächs. Sie deeskalieren, bauen Vertrauen auf und sorgen dafür, dass Ihre empathisch formulierten Botschaften auch so ankommen.
Wie Sie mit der 4-Schritte-GFK-Methode jede schwierige Botschaft übermitteln?
Die 4-Schritte-Methode in der Theorie zu verstehen ist eine Sache, sie im hitzigen Moment eines Konflikts authentisch anzuwenden, eine ganz andere. Die häufigste Falle ist, die Schritte wie ein technisches Skript abzuspulen, während die innere Haltung weiterhin auf Angriff oder Verteidigung gepolt ist. Das Gegenüber spürt diese Diskrepanz sofort. Eine Bitte, die mit genervtem Unterton vorgetragen wird, ist keine Bitte mehr, sondern eine Forderung im Schafspelz. Der Schlüssel liegt darin, die Schritte als Werkzeug zur Selbstklärung zu nutzen, bevor man überhaupt den Mund aufmacht.
Bevor Sie das Gespräch suchen, nehmen Sie sich einen Moment Zeit und gehen Sie die vier Schritte für sich selbst durch: Was genau hat die andere Person getan oder gesagt (Beobachtung)? Welches Gefühl löst das in mir aus (Gefühl)? Welches meiner tiefen, universellen Bedürfnisse wurde dadurch berührt (Bedürfnis)? Und was genau würde mir jetzt helfen, dieses Bedürfnis zu erfüllen (Bitte)? Dieser kurze Check hilft Ihnen, von der reaktiven Wut zur Klarheit über Ihr eigenes Anliegen zu gelangen.
Ein weiterer Stolperstein ist die Vermischung der Schritte. Viele formulieren einen Vorwurf und nennen es ein Gefühl („Ich fühle mich von dir manipuliert“). Manipulation ist jedoch kein Gefühl, sondern eine Interpretation des Verhaltens des anderen. Ein echtes Gefühl wäre „Ich bin verwirrt und verunsichert“. Ebenso wird oft ein Wunsch nach einem bestimmten Verhalten des anderen als Bedürfnis formuliert („Ich brauche, dass du den Müll rausbringst“). Das eigentliche Bedürfnis dahinter könnte aber Unterstützung, Fairness oder Ordnung sein. Wenn Sie Ihr wahres Bedürfnis kennen, öffnen sich oft mehrere Wege, wie es erfüllt werden kann – und der andere kann vielleicht einen Vorschlag machen, an den Sie selbst nicht gedacht haben.
Wie Sie Wertekonflikte im Team in 3 Schritten konstruktiv klären?
Wertekonflikte sind die Königsdisziplin der Konfliktlösung. Sie entstehen, wenn grundlegende Überzeugungen aufeinanderprallen – zum Beispiel der Wert „Gründlichkeit“ gegen „Schnelligkeit“ oder „Autonomie“ gegen „Teamsicherheit“. Solche Konflikte lassen sich nicht durch einfache Kompromisse lösen und sind eine wesentliche Ursache für Demotivation und Burnout. Der Job-Stress-Index 2022 zeigt, dass sich rund 30% der Schweizer Erwerbstätigen emotional erschöpft fühlen – ein klares Signal, dass tiefere Konflikte oft ungelöst bleiben.
Die GFK bietet einen Weg, diese scheinbar unvereinbaren Positionen zu überbrücken. Der Ansatz verlagert die Diskussion von den verhärteten Strategien („Wir müssen schneller sein!“ vs. „Wir müssen genauer sein!“) auf die dahinterliegenden, legitimen Werte und Bedürfnisse. Ein konstruktiver Klärungsprozess lässt sich in drei Schritten gestalten:
- Gemeinsame Absicht finden: Starten Sie nicht mit dem Problem, sondern mit dem, was alle im Team wollen. Fragen Sie: „Was ist unser übergeordnetes, gemeinsames Ziel bei diesem Projekt?“. Meistens wollen alle den Erfolg des Unternehmens, zufriedene Kunden oder ein qualitativ hochstehendes Ergebnis. Dies schafft eine gemeinsame Basis.
- Bedürfnisse hinter den Positionen erforschen: Nutzen Sie das empathische Zuhören der GFK. Bitten Sie jede Partei, auszudrücken, welches positive Bedürfnis oder welcher Wert hinter ihrer Position steckt. Der Verfechter der Schnelligkeit hat vielleicht das Bedürfnis nach „Effizienz“ und „Reaktionsfähigkeit auf den Markt“. Der Verfechter der Gründlichkeit sorgt sich um das Bedürfnis nach „Qualität“ und „Kundenvertrauen“. Plötzlich sind es keine Gegner mehr, sondern Hüter wichtiger Werte.
- Lösungen brainstormen, die beide Bedürfnisse berücksichtigen: Wenn alle Bedürfnisse auf dem Tisch liegen, stellen Sie die kreative Frage: „Wie können wir eine Lösung finden, die sowohl unsere Reaktionsfähigkeit sicherstellt ALS AUCH unser Qualitätsversprechen einhält?“. Mögliche Lösungen könnten sein: standardisierte Prozesse für Routineaufgaben (Effizienz) und definierte Qualitätschecks für kritische Meilensteine (Qualität).
Ihr Plan zur Analyse von Wertekonflikten
- Konfliktpunkte identifizieren: Listen Sie alle wiederkehrenden Streitpunkte oder Reizthemen im Team auf. Welche Diskussionen führen immer wieder in eine Sackgasse?
- Beteiligte Positionen sammeln: Notieren Sie zu jedem Punkt die gegensätzlichen Strategien oder Forderungen (z.B. „Mehr Kontrolle“ vs. „Mehr Freiheit“).
- Bedürfnisse übersetzen: Versuchen Sie, für jede Position das dahinterliegende positive Bedürfnis zu formulieren (z.B. „Sicherheit“, „Vertrauen“, „Effizienz“, „Kreativität“).
- Gemeinsame Werte aufdecken: Suchen Sie nach übergeordneten Bedürfnissen, die von beiden Seiten geteilt werden (z.B. „Erfolg des Projekts“, „Respekt im Team“).
- Neue Strategien entwickeln: Starten Sie ein Brainstorming für Lösungen, die die wichtigsten Bedürfnisse beider Seiten ehren, statt einen faulen Kompromiss zu suchen.
Das Wichtigste in Kürze
- Der Wechsel von „Recht haben wollen“ zu „Verbindung schaffen wollen“ ist die eigentliche Revolution der GFK.
- Die 4 Schritte (Beobachtung, Gefühl, Bedürfnis, Bitte) sind kein starres Skript, sondern eine Brücke, um Empathie zu ermöglichen.
- In der zurückhaltenden Schweizer Kultur ist das Zuhören auf unausgesprochene Bedürfnisse oft wirkungsvoller als das Senden eigener Botschaften.
Wie Sie tiefe soziale Beziehungen aufbauen, die in Krisen wirklich tragen?
Konflikte zu lösen ist wichtig, aber das wahre Ziel der Gewaltfreien Kommunikation ist es, Beziehungen zu schaffen, die so stabil sind, dass sie Krisen standhalten. Es geht darum, ein Fundament aus Vertrauen und gegenseitigem Verständnis zu bauen. In der Schweizer Geschäftskultur geschieht dies oft weniger durch grosse emotionale Offenbarungen als durch konsequente, verlässliche Handlungen. Der informelle Apéro nach der Arbeit ist hierfür ein perfektes Beispiel: Es ist ein ritualisierter Raum, in dem durch lockere Gespräche langsam Vertrauen aufgebaut wird, das über rein funktionale Arbeitsbeziehungen hinausgeht. Selbst virtuelle Kaffeepausen können diesen Zweck erfüllen, wenn sie regelmässig und mit echtem Interesse am Gegenüber stattfinden.
Dieses Prinzip der Verlässlichkeit ist der Kern tragfähiger Beziehungen. Jedes Mal, wenn Sie eine Zusage einhalten, empathisch auf ein Bedürfnis reagieren oder auch in einer Meinungsverschiedenheit respektvoll bleiben, zahlen Sie auf das „Vertrauenskonto“ der Beziehung ein. Die GFK ist das Werkzeug, das sicherstellt, dass Ihre Interaktionen konsistent positiv auf dieses Konto einzahlen. Sie hilft Ihnen, Ihre eigenen Grenzen klar und respektvoll zu kommunizieren und gleichzeitig die Grenzen anderer zu würdigen.
Wie Andreas Krause vom Institut für Mentale und Organisationale Gesundheit (FHNW) es auf den Punkt bringt, ist die Basis oft eine andere als in expressiveren Kulturen:
In der Schweiz basieren tiefe Geschäftsbeziehungen weniger auf emotionaler Offenheit als auf konsequenter Zuverlässigkeit und dem Einhalten von Zusagen.
– Andreas Krause, Institut für Mentale und Organisationale Gesundheit, FHNW
Am Ende geht es darum, eine Kultur des gegenseitigen Wohlwollens zu schaffen. Eine Kultur, in der man davon ausgeht, dass der andere im Grunde gute Absichten hat, auch wenn seine Strategie ungeschickt ist. Wenn dieses Grundvertrauen etabliert ist, werden Konflikte von bedrohlichen Kämpfen zu gemeinsamen Herausforderungen, die man Seite an Seite löst.
Beginnen Sie noch heute damit, eine kleine Beobachtung wertfrei zu formulieren oder beim Zuhören bewusst nach dem Bedürfnis zu fragen. Es ist der erste, kraftvolle Schritt zu tieferen Verbindungen, weniger Stress und einer konstruktiveren Art, zusammenzuleben und zu arbeiten.